Spurensuche: Was Parfüms, Prosa und Poeten verbindet

Es gibt wenige Dinge die so starke Gefühle in uns aufleben lassen wie ein bewegendes Buch oder ein außergewöhnlicher Duft. Kein Wunder, dass Literatur und Duftkunst seit Jahrhunderten in regem Austausch stehen. Mal ganz gezielt, mal völlig ungeplant

Aber wenn von einer früheren Vergangenheit nichts existiert nach dem Ableben der Personen, dem Untergang der Dinge, so werden allein, zerbrechlicher aber lebendiger, immateriell und doch haltbar, beständig und treu Geruch und Geschmack noch lange wie irrende Seelen ihr Leben weiterführen, sich erinnern, warten, hoffen, auf den Trümmern alles übrigen und in einem beinahe unwirklich winzigen Tröpfchen das unermeßliche Gebäude der Erinnerung unfehlbar in sich tragen.“

(aus: Marcel Proust, „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“)

„Dank Marcel Proust bin ich überhaupt Parfümeur geworden“, sagt Pierre Bourdon. Der heute 70-Jährige hat Millionenschwere Bestseller wie „Davidoff Cool Water“ und „Jil Sander Sun“ geschaffen. Spannend, zu erfahren, dass Proust hinter dieser Weltkarriere steckt. Der französische Romancier, der sich einst in sieben Bänden auf die Suche nach der verlorenen Zeit machte, habe wie kein anderer verstanden, dass Gerüche die mächtige Fähigkeit besitzen, Erinnerungen in uns zu wecken.

Als sich Star-Parfümeur Bourdon 2015 aus der Industrie zurückzog, um unter seinem eigenen Namen endlich Düfte zu komponieren, die er so in der Industrie nie hätte umsetzen dürfen, widmete er seinen Erstling „La Dame en Rose“ der schönen Ex-Kurtisane Odette de Crecy aus Prousts Klassiker „Auf dem Weg zu Swann“. Geschichten, erzählt Pierre Bourdon im Interview, erzeugten eine dichte Atmosphäre, eine Stimmung, die ihn als Parfümeur zu einem Duft inspirieren könnten. Wie eine Illustration, nur nicht mit dem Zeichenstift auf dem Papier sondern in einem Flakon. Bourdon, der in Honfleur in der Normandie lebt und arbeitet, ist mittlerweile selbst unter die Schriftsteller gegangen. Sein Roman, über den er noch nichts verraten will, soll in Kürze erscheinen.

Wer nach weiteren Symbiosen zwischen L’eau de toilette und Literatur sucht, dem erscheint ein Streifzug durch die Szene der sogenannten Nischenparfüms bald wie ein Bibliotheksbesuch. Auf klassischen, goldverzierten oder auch futuristisch anmutenden Fläschchen prangen die Namen von Dichtern, Denkern und die Titel berühmter Werke wie auf Buchrücken. 

Da wäre etwa Ben Gorham, Gründer und kreativer Kopf der Marke Byredo, der sich sich seinen Duft „Baudelaire“ vom Gedicht „Parfum exotique“ inspirieren ließ. Das wiederum stammt aus dem Band „Les Fleurs du Mal“ (dt: „Die Blumen des Bösen“) von Charles Baudelaire. Kostprobe: „Wenn ich geschlossnen Augs an einem warmen Abend. Im Herbst den Dufthauch atme deiner heißen Brüste.“ Bei Byredo duftet diese Geliebte herrlich verrucht, nach Hyazinthen, Weihrauch und Leder. Andere Beispiele, die schon im Namen mit Hochliteratur werben, sind „Othello“ von Il Profumo und „Ginsberg is God“ von Bella Freud.

Oft ist der Einfluss der schreibenden Kunst auf ein Parfüm selbst für Experten beider Zünfte schwer zu erkennen. Wer ahnt etwa, dass sich hinter „Fathom V“, dem neuen aquatischen Duft von Beaufort London, Shakespeares Drama „Der Sturm“ verbirgt? Und auch Altmeister Pierre Bourdon muss kurz erklären, dass seine Kreation „Le Grand Tour“ eine Hommage an das ländliche Italien ist, Schauplatz von Stendhals Roman „Die Kartause von Parma“ (1839), der im Umfeld von Napoleons dortigem Feldzug spielt. Passend mischte Bourdon typische italienische Noten wie Bergamotte, Basilikum und Melone. 

Anderswo in Italien, genauer im Florenz der Gegenwart, führt eine steile Treppe in den vierten Stock eines alten Palazzos in der Via de Bardi. Oben angekommen, eröffnet sich ein atemberaubender Blick über die Dächer der Stadt, während die rustikalen Regale an den Wänden bis zur niedrigen Holzbalken-Decke vollgestopft sind mit alten Apothekerfläschchen. Darin verwahrt Lorenzo Villoresi sein Essenz-Archiv.

Der 60-jährige Parfümeur, den man in Italien wegen seiner akademischen Erforschung antiker Denkmodelle den „Philosoph der Düfte“ nennt, ist zudem die beste Nase der Renaissance-Stadt. Und hier, so sagt man, wurde immerhin im 16. Jahrhundert am Hof von Caterina de’ Medici das Parfum erfunden! Villoresis Düfte entstehen in eben diesem Dachkämmerlein, das sofort an die kleinen, verwinkelten Schreibzimmer großer Literaten erinnert.

„Ein guter Philosoph und ein guter Parfümeur müssen beide eine Methode finden, wie sie verschiedene Ideen und Konzepte geschickt verbinden, ohne sich dabei zu wiederholen“, sagt der Florentiner, der in den 1980ern seine Berufung im Flakon fand. Villoresi, der unter seinem Namen Parfüms herausbringt, ergänzt: „Glücklicherweise hat der Parfümeur dabei viel mehr kreative Freiheiten.“ Auch er findet prägendste Vorlagen für neue Parfüms in Klassikern wie Senecas „Briefe an Lucilius“ und „Also sprach Zarathustra“ von Friedrich Nietzsche. Ein Eau zu diesen Werken oder ihren Verfassern hat er bis jetzt noch nicht ersonnen. Dafür kreierte er im Jahr 2000 den Duft „Dilmun“, nach einer Erzählung in der Gilgamesh-Epik aus dem vorchristlichen Babylon.

Manchmal werden Parfumhäuser sogar selbst schriftstellerisch tätig. Die Traditionsmarke Penhaligon’s erfand rund um die neue Serie „Portaits“ gleich eine ganze englische Adelsfamilie. Parfümeurin Daphné Bugey „plaudert“ in vier verschiedenen Parfüms aus dem Privatleben von Lord George, Lady Blanche, Duchess Rose und Duke Nelson. Das Ergebnis ist in Wort wie auch Duftnoten eine Mischung aus Society-Klatsch, britischem Humor und augenzwinkernder Provokation.

Verbindungen zur Literatur findet man jedoch nicht nur in der exzentrischen Nischenparfümerie. Als Pierre Bourdon Ende der 1990er für die Marke L’Occitane einen besonders grünen Duft komponieren sollte, griff er auf das Gedicht „Grashalme“ des amerikanischen Dichters und Transzendentalisten Walt Whitman zurück. Daraus entstand das herrliche „Feuilles d’Herbe“.

Natürlich ist der Austausch von Parfümerie und Literatur keine Einbahnstraße. Auch Literaten haben sich stets von Gerüchen leiten lassen und manchmal sogar die Liebe ihrer Figuren für Parfums in Erzählungen einfließen lassen. Neben „Das Parfüm“ von Patrick Süskind ist vor allem Gustave Flauberts „Madame Bovary“ ein Paradebeispiel für die Verquickung beider Künste.

Der berühmte Roman erzählt von der unglücklich verheirateten Emma Bovary, die sich vor lauter Langeweile und der Sehnsucht nach einem besseren Leben in Tagträumereien verliert. Diese sind nicht bloß von illustren Bildern sondern eben auch olfaktorischen Details geprägt. Beispielsweise so: „Der Vicomte, mit dem sie im Schloss Vaubyessard getanzt hatte, kam ihr in den Sinn. Sein Bart hatte genau so geduftet wie dieses Haar, nach Vanille und Zitronen.“

In seinem Dachgeschoss hoch über Florenz denkt Parfümeur Lorenzo Villoresi derweil über einen neuen Duft nach, der diesmal nicht von einem bestimmten Roman inspiriert sein soll, sondern eher von einem geradezu archaischen Sujet. „Ich möchte eine Stimmung interpretieren, ein Thema, das in vielen Büchern und uralten Geschichten steckt: die sagenumwobene Bergfestung Alamut, die einst etwa 100 Kilometer vom heutigen Teheran entfernt gestanden haben soll. Umgeben war sie, so beschreibt es Marco Polo in seinen Reisetagebüchern unter ,Der alte Mann im Berg’, von einem mystischen Wald. Ein himmlischer Ort, und wie geschaffen für ein Parfüm.“