Ein Bild von einem Parfüm: Céline Verleure von Olfactive Studio

In ihrem Leben verließ Selfmade-Woman Céline Verleure immer wieder ihre comfort zone. Erst die einzigartige Parfümmarke Olfactive Studio gibt ihrer Neugier und Abenteuerlust nun eine sinnliche Heimat. Mit Düften zu Fotografien!

Von den glaslosen Fenstern ihres Baumhauses blickt Céline Verleure in den Himmel. Acht Meter hoch oben steht sie. Unter ihr der Garten ihres Elternhauses, über ihr fast makelloses Blau. Nur wenige Wölkchen ziehen vorbei, wie bizarr geformte Tiere. Céline atmet tief ein. Die Wälder rund um ihren Heimatort in der Nähe von Chambord verströmen den Duft von Zedernholz, von Tannennadeln und Moos. Viele Jahre später wird sie diesen Aromen wiederbegegnen. Nicht in der Natur, sondern im Duftlabor. Noch aber sind Parfüms für das Mädchen abstrakt. Ihre Mutter mag Wässerchen mit weißen Blüten, daran erinnert sie sich. Lang-wei-lig.

Céline träumt lieber davon, einmal richtige Häuser zu bauen. Vielleicht sogar Schlösser, wie das, in dem ihre Grundschule untergebracht ist. Architektin zu werden, dass ist ihr größter Wunsch. Vielleicht ausgelöst durch den Vater, der zwar keine Häuser entwirft, aber immerhin Möbel. „Ich war oft in der Fabrik, neugierig, wie alles funktioniert”, erinnert sich die Französin, die heute mit ihrem Verlobten und dessen Kindern in Paris lebt. „Ich hätte gern Stühle, Tische, Kommoden gestaltet. Doch mein Vater stellte Schulmöbel her, da ist man im Design etwas limitiert.”

So geht Céline neben der Schule, wo sie in Mathematik, Philosophie und französischer Literatur brilliert, einem anderen Hobby nach: dem Sport. Sie rast auf ihrem Fahrrad umher, kämpft sich als Leichtathletin durch die die 100-Meter-Hürden. „Ich war eher wie ein Junge, mir fehlte mir definitiv das Prinzessinnen-Gen”, lacht Verleure. Ihr gutes Abitur führt sie dann endgültig weg von der Architektur. „Meine Freunde und Familie waren der Ansicht, mit solchen Noten müsse ich unbedingt etwas mit Business studieren. „Ein wenig bereue ich bis heute, damals nicht meinem Herzen gefolgt zu sein.”

Nach ihrem Abschluss, das weiß Céline Verleure schon während sie noch im Hörsaal sitzt, wird sie die Welt der Luxusgüter kennenlernen. Das BWL-Ying wieder mit einem sinnlichen Yang verbinde. Sie ergattert eine Stelle beim Modehaus Kenzo und kommt dort rasch in Berührung mit den Parfums der Marke. Zum ersten Mal seit sie auf den verwitterten Brettern ihres Baumhauses stand spürt sie, dass aus Kopf-, Herz- und Basisnote, den Flakons und Geschichten, die Düfte erzählen, eine neue Leidenschaft werden könnte.

Die 25-Jährige stürzt sich mit Feuereifer in die Materie. So oft wie möglich spricht sie mit erfahrenen Parfümeuren, will ihre Kunst verstehen. An ihrem Schreibtisch übt sie zudem jeden Morgen mit einem Geruchstrainings-Set. Bald hält sie bei Fachsimpeleien unter professionellen „Nasen“ bestens mit. Und hilft mit, die Düfte „L’Eau par Kenzo“ und „Kenzo Jungle” und Kenzo Jungle zu Bestsellern zu machen.

Doch wie später in ihrer turbulenten Karriere: Céline Verleure will mehr. Neue Erfahrungen machen, sich stärker fordern. Was sie erst 2011 verstehen soll: Alle Erlebnisse und skills kulminieren schließlich in der Gründung ihres Olfactive Studio. Ein Parfümprojekt, das hochtalentierte Parfümeure und Top-Fotografen zusammenbringt, um einzigartige Düfte zu faszinierenden Bildern zu komponieren.

„Autoportrait“: Einer der ersten Düfte von Olfactive Studio

Bis dahin geht Verleures Odyssée weiter. Statt sich an der Côte d‘Azur zu räkeln, reist sie mehrfach nach Indien. Als Backpacker. Beispielsweise an die Ausläufer des Himalaya, auf 5700 Meter. Als sie mit gewohnt raschem Schritt durch den Flughafen marschiert, fällt sie prompt in Ohnmacht. Jahre später jettet Céline Verleure nach Japan, nachdem sie zuvor die Sprache gelernt hat.

In Tokio angekommen belegt sie gleich noch einen Kalligraphiekurs. Das wiederholte Eintauchen in verschiedene Kulturen öffnet ihr den Blick und kitzelt alle Sinne. Sie saugt Gerüche, Farben und Gesichter förmlich auf und speichert sie. Zur späteren Verwendung. Was sie in ihrem Leben leitet? Meine Intuition und meine Träume. Ich glaube fest daran, dass wir unser Leben selbst gestalten können.
Das sei wie Magie, erzählt Verleure weiter. Kaum verwunderlich, dass „Hundert Jahre Einsamkeit” von Garcia Marquez ihr Lieblingsbuch ist.

In Paris entwickelt Céliner Verleure 1998 die erste E-Boutique für Designer Jean Paul Gaultier. Zwei Jahre später wagt sie sich für den Duftzulieferer Firmenich ins noch neue Internet und erfindet die Parfumplattform Ozmoz.com, auf der Fans neue Kreationen probeschnüffeln und kommentieren können. Marktforschung trifft Social Media – lange vor Facebook! Als Firmenich ihre Abteilung downsizen muss, setzt Verleure sich gleich mit auf die „Exit”-Liste. Nach unzähligen Überstunden und schleichendem Büro-Koller will sie raus. Ein Jahr Südamerika lautet der Plan. „Ein Freund schlug mir vor, ihn und seine Kumpel auf einem Segelboot nach Salvador de Bahia zu begleiten.” Warum nicht, denkt
sie sich und schippert zwei Wochen lang quer über den Atlantik. Statt an Deck Champagner zu schlürfen, schiebt Céline die Morgenwache von zwei bis 4 Uhr früh und packt kräftig mit an. Selbst wenn Haie neben dem Boot auftauchen, trübt nicht ihre Abenteuerlust. Die Enge und unterschiedlichen Charaktere an Bord stärken gleich noch ihre Teamfähigkeit.

Was ihr noch im Lebenslauf fehlt, die Zähigkeit und das Improvisationstalent eines Unternehmers, das holt Céline Verleure in den folgenden zwei Jahren in Rio nach. Mit einem befreundeten Arzt als Investor startet sie eine Importfirma für französischen Wein, eröffnet kurz darauf ein Ladengeschäft in der Nähe des botanischen Gartens. „Mit Wein kannte ich mich etwas aus, mein Vater hat einen gut sortierten Keller.“ Das önologische Vokabular – auf Portugiesisch – muss sie dennoch pauken. Mut zum Risiko, dazu ein Gaumen für feine Weine und eine Nase für erfolgreiche Düfte – eigentlich wäre Céline Verleure bereit, es auf eigene Faust wagen. Sie kehrt nach Frankreich zurück. Mit dem Flugzeug. Und muss dort eine letzte Hürde überwinden: Geld.

Eine Position als Head of Internet Marketing bei Kosmetikgigant L‘Oréal kommt da wie gerufen. Und komplettiert Verleures Wissen rund um Themen wie Crowd-Sourcing und Produkt-PR im Netz. Nur mit dem Büroalltag ringt sie nach zwei Jahren unterm Zuckerhut. Meetings, Kantine, sachliches Interieur. Dann beginnt die Reise: Verleure startet den „Blog du Parfum qui n’existe pas” und beteiligt Parfümliebhaber hautnah am Kreationsprozess. Zugleich gründet sie ihr Olfactive Studio und macht sich auf die Suche nach ausdrucksstarken Fotografien als Inspiration für Parfüms. Die wichtigsten Prinzipien: „Der Duft darf keinem anderen ähneln, nur hochwertige Rohstoffe verwendet werden – und er muss bequem zu tragen sein.” Der Parfümeur ist für die Gründerin die wichtigste Kraft. „Ich habe bei großen Marken zu oft die Duft-Briefings miterlebt. Da heißt es dann: ,Zielgruppe ist eine moderne, hübsche, gutverdienende Frau, die viel reist.‘ Blah, blah, blah. Die Storys klingen oft gleich, kein Wunder, das sich Parfüms ähneln”, sagt Céline Verleure.

Die 30 möglichen Duftnamen und -konzepte stellt sie schließlich ihren Fans auf Facebook zur Auswahl. Dieses ungewöhnliche Herangehen bringt ihr prompt einen Artikel in der französischen „Elle”. Endlich kann sie den Schleier lüften und gleich drei Parfüms vorstellen: das holzig-warme „Autoportrait“ mit Bergamotte und Vetiver, das ledrige „Chambre Noir“ mit süßer Vanille, Jasmin und Patchouli – und „Still Life“, eine spritzig-fröhliche Melange aus japanischer Zitrone, Pfeffer und Rum.

Ihr persönlicher Favorit wird später „Lumière Blanche”, kreiert zu einem absichtlich überbelichteten Bild des bekannten Fotografen Massimo Vitali, dessen Werke auch im Guggenheim Museum hängen. Vitali und Parfümeurin Sidonie Lancesseur präsentieren Céline Verleure nach nur einem Meeting zwei Parfümideen. „Ich musste bloß noch die intensivsten Zutaten ausbalancieren: Iris, Mandelmehl und Kardamom”, erinnert sich die Unternehmerin. Das Ergebnis: Ein milchig weißer Duft-Kokon, der sehr präzise Vitalis Foto eines Strandes an der Adriaküste wiedergibt. Oder ist es ein Eisberg? Eine Mondlandschaft?

Dank Kunden in derzeit 26 Ländern – darunter die USA, Russland und Dubai – ist Céline Verleure weiterhin viel unterwegs. Ein Büro hat sie nicht, auch keine festen Angestellten. „Ich bin als One-Woman-Show ganz glücklich.”

www.olfactivestudio.com

Text: Siems Luckwaldt
Fotos: Olfactive Studio